Rückblick: Die Entwicklung der Aerodynamik

Mercedes-Benz: Vom K-Heck zum CLA

Rückblick: Die Entwicklung der Aerodynamik: Mercedes-Benz: Vom K-Heck zum CLA
Erstellt am 14. Februar 2013

Vor fast 100 Jahren geriet sie erstmals in den Fokus der Wissenschaft – aber erst nach der zweiten Ölkrise vor rund 30 Jahren bekam sie wirklich hohe Priorität bei der Fahrzeugentwicklung: Die Aerodynamik trägt heute wesentlich zur Energieeffizienz von Personenkraftwagen bei.

Die ersten Personenwagen stammten nicht nur von der Kutsche ab, sie scherten sich angesichts der geringen möglichen Geschwindigkeiten auch nicht um den Wind. Selbst die ersten „richtigen“ Pkw, die Daimler unter der Marke Mercedes ab 1901 auf den Markt brachte, stemmten sich enorm zerklüftet dem anbrausenden Fahrtwind entgegen. So hatte der Mercedes Simplex von 1902 nicht nur eine Stirnfläche von rund 3 m², sondern auch sein cw-Wert von 1,05 führte dazu, dass der Wind fast zehn Mal so viel Widerstand fand wie bei einem modernen Personenwagen.

Schon kurz nach dem ersten Weltkrieg aber begann die vom aufkommenden Flugzeugbau inspirierte Fachwelt, sich auch mit der Aerodynamik der Automobile zu beschäftigen. Flugzeugkonstrukteur Eduard Rumpler (1872 – 1940) präsentierte 1921 seinen Tropfenwagen, der mit seinem schmalen Aufbau nicht nur die Frage der Stirnfläche (2,4 m²) adressierte, sondern mit seiner Tropfenform wegweisend die Verwirbelungen nicht nur an der Front, sondern ganz besonders im Nachlauf minimierte. Das Ergebnis sah ungewohnt aus, setzte mit einem cw-Wert von 0,28 und dem resultierenden Luftwiderstand von 0,67 m² ein deutliches Zeichen.

Auch Paul Jaray (1889 – 1974), der andere „Vater der Stromlinienform“, stammte aus der Luftfahrt. Ebenfalls im Jahr 1921 beantragte er ein Patent, das sich noch heute wie die Anleitung zum Bau einer modernen Karosserie liest: „Der untere Teil des Karosseriekörpers hat die Form eines halben Stromlinienkörpers und überdeckt das Chassis mit den Rädern, den Motorraum und den Fahrgastraum. Die Unterseite ist eben und verläuft parallel zur Bodenfläche. Auf diesen Hauptteil ist ein wesentlich schmalerer Stromlinienkörper gesetzt, der von einer fachwerkartigen Konstruktion getragen wird, die ihrerseits auf dem Chassis aufgebaut ist.“ Erstmals standen die Räder nicht mehr frei, sondern wurden in den Karosseriekörper einbezogen, das Fließheck diente der Minimierung von Wirbeln am Heck. Weil andererseits herkömmliche Antriebstechnik unter die Jaray’sche Karosserieform passte, bauten einige Autohersteller Fahrzeuge nach seinem Prinzip, auch Mercedes-Benz: 1935 entstand ein entsprechend geformter Prototyp. Im Serienbau erzielte Tatra gewisse Erfolge mit der Stromlinienform, beginnend mit dem von 1936 bis 1950 gebauten Typ 87. Auch der VW Käfer bot optisch eine Stromlinie, doch ohne Effekt: mit cw 0,49 krabbelte er mühsam dem Wind entgegen.

Größter Nachteil der Jaray’schen Stromlinie war das lang auslaufende Heck – je länger, desto strömungsgünstiger. Dieser „tote“ Raum stand der praktischen Umsetzung im Wege, weswegen Tatra dort auch den Motor platzierte. Die Lösung fand in den 30er-Jahren Wunibald Kamm (1893 - 1966), erster Professor für Kraftfahrwesen an der Technischen Hochschule Stuttgart und 1930 Gründer des privaten und gemeinnützigen Forschungsinstituts für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS). Kamm schnitt das Stromlinienheck scharf ab und entwickelte mit dem K-Wagen 1938 bis 1941 den Prototyp eines aerodynamisch innovativen Personenwagens. Die Bezeichnung „Kamm-Heck“ für die scharfe Abrisskante ist heute noch ein Begriff. Der Wagen K3 basierte auf einem Mercedes-Benz 170 V und zeichnete sich bei einer Stirnfläche von 2,1 m² durch einen damals im Modellwindkanal gemessenen cw-Wert von 0,23 aus.

Steigender Wohlstand und sinkende Benzinpreise ließen in den 50er-Jahren das Bemühen um geringe Fahrwiderstände in den Hintergrund treten, Fahrleistungen wurden durch großvolumige Motoren erreicht. Die klassischen Straßenkreuzer dieser Ära nutzten mit ihren Heckflossen zwar ein Element des Flugzeugbaus, aber nur zur Dekoration: Mit cw-Werten um 0,60 und großen Stirnflächen waren sie etwa so windschnittig wie Elvis‘ Villa Graceland.

Erst die zweite Ölkrise 1980 lenkte die Aufmerksamkeit der Industrie zurück auf die Minimierung des Verbrauchs und ein probates Mittel dafür: die Senkung des Luftwiderstands. Audi setzte mit dem 100 (cw 0,30) 1982 ein erstes Zeichen, Mercedes-Benz übernahm 1984 mit der E-Klasse W124 (cw 0,29) die fortwährende Führung bei den Limousinen und Opel zeigte 1991 mit dem Calibra (cw 0,26), was bei einem Coupé möglich ist.

Trotz widriger Umstände (z.B. wachsende Reifenbreiten und steigender Kühlluftbedarf starker Motoren) zeigt der Trend bei der Windschnittigkeit seither nach unten. Besonders bei Mercedes-Benz: Heute hat das Unternehmen nahezu in allen Fahrzeugsegmenten die Industrieführerschaft beim Luftwiderstand und den anderen Disziplinen der Aerodynamik übernommen (siehe Kapitel „Aerodynamik-Weltmeister in allen Klassen“).

Meilenstein: der „Große Windkanal“ in Stuttgart-Untertürkheim

Vor genau 70 Jahren, am 5. Februar 1943, fand die erste dokumentierte Messung statt: Der „Große Windkanal“ der Daimler AG im Stammwerk Stuttgart-Untertürkheim war der weltweit erste, der speziell zur Untersuchung der aerodynamischen Eigenschaften von Kraftfahrzeugen konzipiert wurde. Die Bauarbeiten begannen 1939, voran getrieben vom legendären Aerodynamik-Pionier Wunibald Kamm.

Kriegsbedingt dauerte es zwar noch bis 1954, bis der Windkanal als erster weltweit regelmäßig für Messungen an originalgroßen Pkw eingesetzt werden konnte. Seither spielte er eine bestimmende Rolle in der Entwicklung aerodynamischer Effizienz des Automobils – besonders wenn es einen Stern am Bug trug. Doch nicht nur bei diesen: Bis in die 70er-Jahre wurde der Windkanal vom Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS) betrieben und stand so der markenunabhängigen Forschung und auch anderen Herstellern zur Verfügung. Einer der regelmäßigsten Mieter aber war der heutige Besitzer Daimler – ganz ähnlich wie beim neuen FKFS-Windkanal auf dem Uni-Gelände in Stuttgart-Vaihingen, der 1988 in Betrieb ging und 2014 grundlegend renoviert werden wird.

Doch der immer wieder auf den neuesten technischen Stand gebrachte Windkanal in Untertürkheim bleibt für die Mercedes-Benz Entwicklung unverzichtbar, besonders für Verschmutzungsuntersuchungen oder Scheibenwischertests Und der „Große Windkanal“ heißt nicht nur so: Auch die Nutzfahrzeuge von Mercedes-Benz bekommen hier ihren Feinschliff.

Daneben wird er immer wieder auch für artfremde Versuche genutzt: Ob das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) hier Filmsequenzen für einen Bericht über Hurrikane dreht, Schlitten für den Bobsport optimiert werden oder Eischnellläufer ihre Haltung optimieren – wer mit oder gegen den Wind kämpft, findet in Untertürkheim einen Verbündeten. Zu den ganz besonderen Herausforderungen zählte auch die aerodynamische Untersuchung des revolutionären Zeltdachs des Münchner Olympiastadions.

Im Fokus des Windkanals steht immer der dimensionslose Luftwiderstandsbeiwert cw: Er ist das Maß für die aerodynamische Formgüte eines Körpers und damit auch eines Automobils. Mit einem cw-Wert von 0,23 erreicht hier der Mercedes-Benz CLA eine neue Bestmarke – sowohl innerhalb der Mercedes Modellpalette als auch unter allen Serienfahrzeugen. Der CLA 180 BlueEFFICIENCY Edition unterbietet diesen Bestwert sogar noch einmal. Hier lautet der cw-Wert 0,22.

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