Repräsentationswagen in der Geschichte der Daimler AG, Teil 3

Rückblick in der Geschichte des 125-Jahre bestehenden Automobilherstellers in acht Teilen – Teil 3

Repräsentationswagen in der Geschichte der Daimler AG, Teil 3: Rückblick in der Geschichte des 125-Jahre bestehenden Automobilherstellers in acht Teilen – Teil 3
Erstellt am 1. August 2011

Paul Daimler verlässt 1922 die DMG im Dissens mit dem Aufsichtsrat. Der hatte besser verkäufliche Modelle in unteren Preislagen gefordert, Daimler hingegen ein neues Modell mit acht Zylindern. Sein Nachfolger bei der DMG wird der von Austro Daimler kommende Ferdinand Porsche. Der hatte Daimler schon einmal bei der Vorgängergesellschaft von Austro Daimler abgelöst, der Österreichischen Daimler-Motoren-Gesellschaft mbH in Wiener Neustadt. Was man damals bei der DMG nicht weiß: Auch Porsches Entwicklungsschwerpunkte liegen eher bei großen und teuren als bei kleinen und preiswerteren Automobilen. Deshalb verwundert es nicht, dass Porsche als erstes die Konstruktion einer repräsentativen Zwillingsbaureihe neuer Luxuswagen mit 4 Liter und 6,2 Liter Hubraum beginnt. Beide unterscheiden sich lediglich im Hubvolumen der Motoren, im Radstand, der Gesamtlänge sowie in einigen Karosseriedetails voneinander. Die für die Karosserie zur Verfügung stehende Länge auf dem Chassis und die technisch anspruchsvolle Basis sind identisch. Der größere Motor erfordert einen um 120 Millimeter längeren Radstand und bringt ein um 100 Kilogramm höheres Fahrgestellgewicht.

Ferdinand Porsche ersetzt Paul Daimler im Aufsichtsrat

Porsche folgt auch bei der DMG seiner bisher gelebten Überzeugung, dass ein guter und leistungsfähiger Motor auch ästhetisch schön sein müsse. Er übernimmt für die neuen Sechszylindermotoren das technische Grundkonzept seines schon bei Austro Daimler konstruierten Motors aus dem dortigen Typ AD 617. Gemeinsamkeiten betreffen das leichte Kurbelgehäuse aus Siluminguss mit eingezogenen trockenen Gusslaufbüchsen, die nur vierfach gelagerte Kurbelwelle und den abnehmbaren Zylinderkopf mit einer oben liegenden Nockenwelle, die über Kipphebel die in Reihe angebrachten Ventile über Schwinghebel betätigt. Der Antrieb der Nockenwelle erfolgt durch eine von der Kupplungsseite her angetriebene Königswelle. Der Motor bildet zusammen mit dem Schaltgetriebe ein zusammenhängendes Bauteil und damit zugleich einen riesigen Funktionsblock. An ihm sind alle Hebel zum Bedienen des Wagens einschließlich des Lenkgetriebes und der Lenksäule mit Lenkrad zusammengefasst. Am Getriebe sind der Anlasser, die Luftpumpe zum Aufpumpen der Reifen bei Reifenschäden, die Handhebel für die Getriebeschaltung und die Handbremse sowie die Fußhebel für Kupplung und Bremse angebracht.

Der Roots-Kompressor ist am vorderen Ende des Motors angebracht

Für seine Neukonstruktionen bei der DMG, die 1924 auf den Markt kommen, übernimmt Porsche das noch von Paul Daimler eingeführte Prinzip der Kompressoraufladung. Der Roots-Kompressor, mit etwa 1 : 3 ins Schnelle übersetzt, ist in einem mit Kühlrippen versehenen Gehäuse aus Leichtmetall am vorderen Ende des Motors angebracht. Er wird per Niederdrücken des Gaspedals, ähnlich der heute bei Automatikgetrieben üblichen Kickdown-Stellung, über eine Lamellenkupplung zugeschaltet. Beim Loslassen des Gaspedals wird er durch eine auf der Kurbelwelle sitzende Mehrscheibenbremse verzögert. Porsche verwendet bei den beiden großen Tourenwagen das bei Daimler-Benz lange verfochtene Prinzip der zwischen Kompressor und Brennraum liegenden Druckvergaser.

Eine frühe Form des Multifunktions-Lenkrads

Als besondere Merkmale besonders herausgestellt werden damals im Vergleich zu den bis dahin produzierten Personenwagen der abnehmbare Zylinderkopf, die trockene Mehrscheibenkupplung anstelle der bisherigen Doppelkonuskupplung mit Lederbelag, der schwach zugespitzte vernickelte Bienenwabenkühler anstelle des bisherigen ausgeprägteren und lackierten Spitzkühlers, die Einführung eines Betätigungsrings auf dem Lenkrad mit der Betätigung der Hupe durch den oberen Teil des Rings und der Abblendvorrichtung durch den unteren Teil des Rings und die auf alle vier Räder wirkende Innenbackenbremse.

Die Typenbezeichnung erlebt im Laufe der Jahre Veränderungen.

In Porsches Zweiergespann mit 4-Liter- und 6,2-Liter-Motor ist der Typ 24/100/140 PS mit dem größeren Aggregat von Beginn an das Zugpferd. Nicht was die gebauten Stückzahlen angeht, da behält der kleinere und preiswertere Wagen die Oberhand. Aber vom Imagefaktor her – damals sagte man noch Ansehen – ist der Wagen mit dem bulligen Motor eindeutig das repräsentativere Fahrzeug.



Die Typenbezeichnung erlebt im Laufe der Jahre Veränderungen. Anfangs heißt der Typ Mercedes 24/100/140 PS, nach der Fusion im Juni 1926 dann Mercedes-Benz 24/100/140 PS. 1928 wird er zum Typ 630; denn die vorherige sperrige Typenbezeichnung ist wenig verkaufsfördernd, zudem will man eine einheitliche Linie mit den Namensfahrzeugen Stuttgart, Mannheim und Nürburg herstellen, die ebenfalls eine dem Hubraum entsprechende Typenzahl erhalten.

Der größere Motor hat einen Hubraum von exakt 6240 Kubikzentimetern, was im engeren Sinn nicht die Zahl „630“ in der Typenbezeichnung rechtfertigt, die auf den Hubraum hindeuten soll. Fast 100 Jahre liefert die Geschichte eine Parallelepisode: Der heute von AMG eingebaute V8-Motor wird ebenfalls als 6,3-Liter-Motor bezeichnet, hat aber einen Hubraum von 6208 Kubikzentimetern.

Typ 630 mit K-Motor: Das Flaggschiff der Daimler-Benz AG bis 1930

Im Oktober 1928 wird der Typ 630 aufgewertet, indem auch der stärkere Motor mit 160 PS (118 kW) aus dem K-Modell optional für den normalen Tourenwagen geliefert wird. In den Werksunterlagen wird diese Variante als „Typ 630 mit K-Motor“ oder „6-Liter-Wagen mit K-Motor“ bezeichnet. Diese Kombination übernimmt bis zum Erscheinen des „Großen Mercedes“ im Oktober 1930 die Position des Flaggschiffs im Personenwagen-Programm der Daimler-Benz AG. Sie entwickelt sich zur etwas langlebigeren und zum Schluss auch begehrteren Variante. Die Fahrgestell- und Wagenproduktion mit dem 140 PS (103 kW) starken Motor endet 1929, die mit dem 160 PS (118 kW) starken K-Motor ein Jahr später. Das schließt natürlich nicht aus, dass sogenannte Lagerwagen erst erheblich später verkauft und zugelassen werden.

Im Laufe der Jahre erfolgen einige Änderungen, um die Fahrzeuge auf der Höhe der Zeit zu halten. Dazu zählen 1926 der Ersatz der hinteren Cantilever-Auslegerfedern durch Halbelliptikfedern, die von Anfang an unter der Hinterachse durchgeführt werden, ab Herbst 1927 die drei Metallschläuche als Verkleidung der dann außerhalb der Motorhaube verlaufenden Auspuffrohre, ab Oktober 1928 der wahlweise Einbau des erwähnten Motors aus dem Typ K zunächst nur im offenen Tourenwagen, später auch in allen anderen Karosserievarianten, und 1928/29 der Einbau eines Bosch-Dewandre-Bremskraftverstärkers.

Im Laufe der Weiterentwicklung ändert sich das Karosserieangebot nur leicht. Für heutige Verhältnisse besonders beeindruckend sind die beiden offenen Tourenwagen mit fünf oder sieben Sitzen, die zusätzlich auch mit einem aufsetzbaren Limousinenaufbau im Stile eines heutigen Hardtops geliefert werden können. Zwischen 1926 und 1928 sieht der Umfang lieferbarer Karosserien und die Preisgestaltung wie folgt aus:

Preise Typ 24/100/140 PS

Fahrgestell 19.250 RM

5-Sitzer Offener Tourenwagen 23.800 RM

5-Sitzer Offener Tourenwagen mit abnehmbarem

Pullman-Dachaufbau 26.500 RM

7-Sitzer Offener Tourenwagen 24.000 RM

7-Sitzer Offener Tourenwagen mit abnehmbarem

Pullman-Dachaufbau 26.750 RM

6/7-Sitzer Coupé 26.750 RM

6/7-Sitzer feste Pullman-Limousine 27.750 RM

Preise Typ 24/100/140 PS – Typ 630

Von 1929 an wird das Karosserieangebot gestrafft, dafür kann zu einem Aufpreis von 2.000 Reichsmark der leistungsstärkere K-Motor bestellt werden.



Preise Typ 24/100/140 PS – Typ 630

Fahrgestell 19.250 RM

6/7-Sitzer Offener Tourenwagen 24.000 RM

6/7-Sitzer Pullman-Limousine mit breiten Türsäulen 25.000 RM

6/7-Sitzer Pullman-Limousine mit schmalen Türsäulen 27.750 RM

4/5-Sitzer Innensteuer-Cabriolet 26.500 RM

6/7-Sitzer Pullman-Cabriolet in Sonderausführung 28.000 RM

Die Karosserien werden entweder im Werk Sindelfingen hergestellt oder, wie es damals gerade beim Bau von Spitzenautomobilen üblich ist, von namhaften internationalen Karossiers nach Kundenwunsch bezogen. Dabei werden dann auch Sonderwünsche erfüllt wie etwa die besonders hohe Pullman-Limousine für den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, damit dieser bei offiziellen Anlässen seine Pickelhaube mit Uniform oder in Zivil seinen Zylinder auch im Fahrzeug tragen kann. Hindenburg hatte außerdem ein Pullman-Cabriolet zur Verfügung. Beide Wagen sind Sonderanfertigungen der Berliner Wagenfabrik Josef Neuss.

Beispielsweise folgende bekannte und renommierte Firmen liefern Karosserien für den Mercedes-Benz 24/100/140 PS Typ 630:

Balzer, Ludwigsburg

Castagna, Mailand

D’Ieteren Frères, Brüssel

Erdmann & Rossi, Berlin

Farina, Mailand

Geissberger, Zürich

Hibbard & Darrin, Paris

Million Guiet, Paris

Josef Neuss, Berlin-Halensee

Papler & Sohn GmbH, später, Papler GmbH, Köln

Van den Plas, Brüssel

Saoutchik, Paris

Voll & Ruhrbeck, Berlin-Charlottenburg

Zschau, Leipzig

Beispiele für prominente Kunden sind:

Reichspräsident Paul von Hindenburg

König Gustav von Schweden

König Alfonso von Spanien

Emil Jannings, Schauspieler

Richard Strauss, Komponist

Richard Tauber, Sänger

Jan Kiepura, Sänger

Oscar R. Henschel, Industrieller

Vom Mercedes-Benz 24/100/140 PS Typ 630 werden von 1924 bis 1930 insgesamt 1.080 Fahrzeuge gebaut. Dazu kommen noch 117 Fahrzeuge mit dem leistungsstärkeren K-Motor.

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