Einst transportierte der große blaue Mercedes-Benz 03500 die Silberpfeile von Rennen zu Rennen. Damit die Transporter der Rennabteilung nicht in Vergessenheit geraten, hat Mercedes-Benz Classic einen von einstmals drei O 3500 originalgetreu rekonstruieren lassen. Der große blaue Lastwagen ist eigentlich ein Omnibus. Die Rennabteilung wählte damals das Omnibus-Fahrgestell nicht nur wegen der eleganteren Haubenform. Die größere Innenhöhe ermöglichte auch die gewünschte Doppelstockverladung der Silberpfeile.
Zwei O 3500 erhielten eine Laderampe. Der dritte Haubenwagen diente als mobiles Werkstattfahrzeug mit Drehbank, Bohrwerk, Hydraulikpresse, Druckluftanlage und Spezialwerkzeug. Rund 500 Kilometer sind wir unterwegs vom Mercedes-Benz Classic Center in Stuttgart nach Oberhausen zur Jahresinspektion in einer speziellen Restaurationswerkstatt für Vans und Trucks.
Bei dem zweijährigen Umbau eines als Möbelwagen genutzten Fahrzeugs war unser Fahrer Klaus-Dieter Mrosewski maßgeblich beteiligt. Er war für die komplette Elektrik und die Einspritzpumpe zuständig. Das 1957 erbaute Gefährt ist gerade mal 15 Jahre jünger als sein Fahrer, der es als gelernter KFZ-Mechaniker und Einspritzpumpenspezialist auch generalüberholen wird. Mein lieber Herr Gesangsverein, sagt Klaus-Dieter Mrosewski, als wir bei 14 Prozent Steigung im zweiten Gang den Berg hochschleichen.
Die Atmosphäre ist nostalgisch. Der 90 PS Dieselmotor brummt so laut wie der Maschinenraum einer alten Barkasse. Das Steuerruder misst einen halben Meter im Durchmesser. Auch die beiden Frontscheiben, eingefasst in dickes Gummi mit verchromten Leisten, erinnern an Bullaugen unter Deck. Die Holzmaserung in der Innenverkleidung gleicht dem Mahagoni-Holz auf Schiffen. Als Gallionsfigur prangt der verchromte Stern auf der Haube. Weich gefedert auf dick gepolsterten Bänken schaukeln wir über die Autobahn.
Den Tacho behält Klaus-Dieter Mrosewski gut im Auge. Nicht weil er befürchtet, zu schnell zu fahren. Mehr als 80 km/h schafft der O 3500 ohnehin nicht. Da es keine Tankanzeige gibt, muss er den Kraftstoffverbrauch überschlagen. Wir tanken zur Sicherheit schon nach 200 Kilometern, auch wenn der Tank 100 Liter fasst und der historische Transporter ungefähr 20 bis 25 Liter Diesel verbraucht.
Während der Fahrt im historischen Renntransporter erinnern wir uns an den geschichtsträchtigen 4. Juli 1954: Zum letzten Mal überqueren zwei silbern schimmernde Stromlinien-Rennwagen die Start- und Ziellinie. Doppelsieg für Juan Manuel Fangio und Karl Kling. Mit deutlicher Überlegenheit gewinnen die beiden Silberpfeile das vierte Formel 1-Rennen des Jahres auf dem Circuit de Reims-Gueux. Noch sind die Reihenachtzylinder der W 196-Rennsportwagen von Mercedes-Benz nicht abgekühlt, da werden die Startnummern 18 und 20 bereits auf einen der beiden großen blauen Kofferlastwagen der Stuttgarter Renntransporter verladen. Dann geht es heim nach Stuttgart.
Zurück in die Gegenwart: Nach rund acht Stunden und 460 Kilometern beenden wir unsere Reise in die Vergangenheit. Wir erreichen die Restaurationswerkstatt von Hartmann Nutzfahrzeuge in Oberhausen. Wir genießen die Ruhe nach dem lauten Motorbrummen, vermissen aber auch schon ein wenig die nostalgische Atmosphäre des sanft über die Straße schaukelnden Gefährts. Klaus-Dieter Mrosewski ist körperlich völlig erschöpft.
Einen solchen historischen Renntransporter zu fahren, ist eben doch eine echte sportliche Herausforderung, da das Getriebe nicht synchronisiert ist, muss der Siebzigjährige beim Runterschalten Zwischengas geben und beim Hochschalten zweimal kuppeln. Der 7,5-Tonner bietet keinerlei Lenkhilfe und lässt sich nur rein mechanisch steuern. Blinken übernimmt der Beifahrer. Natürlich könnte der Fahrer den kleinen weißen Blinker in der Mitte des Armaturenbretts auch selbst betätigen. Allerdings ist er mit Kuppeln und Lenken bereits voll ausgelastet. Einen historischen Renntransporter zu fahren, erfordert eben noch richtige Muskelarbeit.
Fotos: MyVan.com
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