Eine Pandemie hat auch manchmal ihr Gutes – sie gibt einem nämlich die Zeit, ab und zu mal in der Vergangenheit zu schwelgen und sich an besondere Ereignisse zu erinnern, wenn man schon keinen Zombie-Kombi mehr hätscheln und tätscheln muss. Manchmal reicht dazu eine kurze Initialzündung! So wie heute Morgen: Ein früherer Kunde, zu dem sich im Laufe der Jahre ein sehr nettes und freundschaftliches Verhältnis entwickelt hat, rief mich an. „Wie isset?“, war unsere übliche Begrüßung und nachdem wir uns über dies und das ausgetauscht hatten, kamen wir wieder auf unser Lieblingsthema und somit auf eines der beiden Autos zurück, das ich ihm vor 10 Jahren verkauft hatte.
Dreimal hatte ich Herrn Schmitz (*Name geändert) in den letzten Jahren schon ausgeredet, das gute Stück zu verkaufen, weil ich es bei ihm in pflegenden Händen wusste und ich so wenigstens ab und zu mal wiedersehen konnte. Das „gute Stück“ ist übrigens ein 190D „Ponton“, EZ 1960, anthrazitgrau, Faltdach, unrestauriert. Jetzt sollte er verkauft werden und ich begab mich auf eine Zeitreise in das Jahr 2011, nachdem das Telefonat beendet war…
Alles begann bei Ostendorf Classic in Hamm
Als ich im Januar 2011 meine Stelle als Leiter des Classic Bereichs bei Ostendorf in Hamm angetreten hatte, stand als eine der ersten Amtshandlungen eine Bestandsaufnahme an. Mein Vorgänger, der zuvor bereits unter dem Namen „ClassicCenter Hamm“ damit betraut war, das Geschäft mit klassischen Fahrzeugen zu etablieren, hatte nach seinem Weggang einen Bestand mit ca. 30 klassischen Mercedes hinterlassen. Wir liefen also tagelang durch den Showroom, das Lager und die Werkstatt, um schöne und auch weniger schöne Autos in Augenschein zu nehmen. Ein paar 123er gingen über die Klippe und landeten im Händlergeschäft. Ein 6.3 US-Reimport hätte mir damals unter 4 …äh 6 Augen zuflüstern sollen „…lass es!“, aber wir restaurierten ihn trotzdem! Seither weiß ich, warum beim 300er alles drei Hunderter kostet, was beim 220er zwei Zwanziger kostet; das Zwischenergebnis dann übrigens multipliziert mit 6.3, sofern der M100 verbaut ist. Das ist aber eine andere Geschichte, die hier den Rahmen komplett sprengen würde.
Liebe auf den ersten Blick
Zwischen allen Autos blieb mein Blick immer wieder an einem grauen Ponton 190D hängen. Keine Ahnung warum, aber ich mochte ihn sofort, da ihn eine sensationelle Aura aus originalem Geruch, wunderschöner Patina und vor allem einer Haptik umgab, die anders war als bei restaurierten Autos. …also beschäftigte ich mich intensiver mit dem grauen Mäuschen. Je weiter ich in den Unterlagen buddelte, je öfter ich in ihm saß oder in der Werkstatt unter ihm stand, umso begeisterter war ich. Irgendwann in dieser Zeit wachte ich sogar aus einem Traum auf, in dem ich mich mit dem Ponton auf einer Fahrt durch die Alpen sah…
Der Ponton hatte damals sagenhafte 38.000 Original-Kilometer gelaufen, war weitestgehend im Erstlack erhalten und sogar die Schuh-Absatz-killenden Kokos-Fußmatten, Faltdach, sowie jeder Sitzbezug waren noch die werksseitige Erstausstattung in annähernd perfektem Erhaltungszustand. Der Serviceaufkleber in der A-Säule war zwar vergilbt, aber ebenfalls seit der letzten Wartung irgendwann Ende der 60er noch an Ort und Stelle. Was das Auto wirklich besonders macht, ist nicht nur der wie in einer Zeitkapsel Originalzustand, sondern auch die Tatsache, dass ein ansonsten üblicherweise in Dritt- bis Zehnthand verschlissener Diesel in Deutschland rostfrei im Erstlack und ohne Beulen oder Gebrauchsspuren überlebt hat – und dazu auch noch ab Werk mit dem seltenen Webasto-Faltdach bestellt wurde. …hier hat nie ein Hippie Ende ´69 Pril-Blumen mit dem Quast auf die Tür gemalt!
Alles wie am Tag der Erstauslieferung
Ein solches Auto ist ein unwiederbringlicher Zeuge der Automobilgeschichte und lässt das geschulte; ja sogar ungeschulte Auge sofort erkennen, was bei vielen Restaurierungen in den letzten Jahren alles falsch gemacht wurde und was einen „Originalzustand“ von einem Fahrzeug in „besser-als-neu Restaurierungszustand“ unterscheidet. Original waren die Türeinstiege nie hochglanz-lackiert, das Faltdach nicht mit dem oft gepriesenen „Original-Sonnenland-Stoff“ bezogen, oder die Sitze mit Echtleder-Kedern versehen. All dies – und viel mehr – war noch wie am Tag der Erstauslieferung erhalten.
Optisch war für uns bei der Verkaufsvorbereitung also nicht viel zu machen, lediglich zwei Stellen an den Radläufen, die irgendwann mal nicht 100% fachgerecht lackiert worden waren, haben wir überarbeitet. Der Innenraum wurde gereinigt. Fertig. Das etwas matte Bakelit-Armaturenbrett und die Fenstereinfassungen ließen sich hervorragend mit Ballistol wieder in den satt speckig glänzenden Originalzustand versetzen.
Ein zeitgenössisches Becker Radio wurde nachgerüstet
Bei der Reinigung fanden sich noch einige zeitgenössische Utensilien wie ein Luftdruckprüfer im Handschuhfach, sowie ein Zigarrenstummel im Aschenbecher. Der Erstbesitzer war ein Pfarrer, den ich mir vorstellte wie Pater Brown, der die wenigen, kurzen Strecken mit stinkendem Kater-Carlo Stumpen im Mundwinkel zurückgelegt haben muss. Um weltlichen Verlockungen widerstehen zu können, wurde kein Radio geordert – die originale Blind-Blende war noch eingebaut (…und ist natürlich heute auch noch vorhanden).
Wir haben damals zwar ein zeitgenössisches Becker Radio samt Hirschmann-Antenne eingebaut, was dem Charme und der Originalität allerdings nicht geschadet hat. So kann man heute bei Bedarf auch mit harten Beats unterwegs sein; es muss ja nicht unbedingt auch noch zeitgenössischer Schlager sein…
Der Ponton ging durch pflegende Hände
Ach ja – der Diesel-liebende Geistliche verkaufte das Auto laut originalem Pappdeckel-Brief später an seinen Küster, der den Ponton weiterhin pfleglich behandelte und nur kurze Strecken zurückgelegt zu haben scheint. Danach verlor sich die Spur, bis das Auto Anfang der 1990er Jahre in der Niederlassung Wuppertal auftauchte, wo es lange als Eye-Catcher im Showroom stand, aber nicht gefahren wurde. Dies bestätigte mir der mir persönlich bekannte, damalige Niederlassungsleiter auch, nachdem ich ihn im Verlauf des Tages angerufen hatte. Dort hat es irgendwann in den frühen 2000er Jahren ein Sammler gekauft – und ebenfalls nicht mehr bewegt. Als dieser nach Down-Under auswanderte, gelangte der Ponton in den Bestand der Firma Ostendorf. …hier schließt sich der Kreis wieder.
Technisch war schon einiges mehr zu erledigen, als bei Lack, Chrom und Gummi, denn Herr Schmitz sagte mir noch auf der Probefahrt damals im März 2011, dass er mit dem Ponton zum Lago Maggiore in sein Ferienhaus fahren wolle. Klar, da schluckt man als Verkäufer erstmal, aber unser Anspruch bei Ostendorf Classic war immer - egal, wie alt das Auto auch war – optimale Vorsorge für einen einwandfreien Betrieb zu schaffen. Da hat sich der pingelige wie geniale Werkstattleiter Patrick Förster im Zweifel auch immer gegen mich durchgesetzt, wenn ich nur kurz darüber nachdachte, vielleicht doch zwei, drei Euro sparen zu wollen!
Entschleunigung pur: Der 50PS Vorkammer-Diesel
Was soll ansonsten eigentlich an einem 50PS Vorkammer-Diesel und dem Drehzahlniveau einer Automatik-Uhr schon großartig kaputtgehen? So reparierten wir erstmal einen kleinen, von außen nicht sichtbaren Treffer am vorderen Innenkotflügel, der u.U. zu Rostschäden hätte führen können. Nach erfolgter Trockeneisbehandlung des Motorraums und des Unterbodens konnten wir quasi mit weißen Glacéhandschuhen Bremsbeläge, Schläuche, Flüssigkeiten, Reifen – kurzum: alles, was sich „kaputtsteht“, austauschen. Die Probefahrten machte ich mit größtem Vergnügen fast alle selbst, denn die 50 Diesel-PS des Ponton machten mir in Verbindung mit dem unverfälschten Fahrverhalten einen Riesen-Spaß. Ganz ehrlich: Jedenfalls für mich kommt da kein SL – außer vielleicht einem W198 – mit!
Der Ponton sucht nun einen neuen Besitzer
Schmitz und ich haben wie bereits erwähnt bis heute Kontakt gehalten und so bekam ich mein All-Time-Lieblingsauto immer mal wieder zu Gesicht. Er war mit dem Ponton übrigens nicht nur einmal am Lago und das regelmäßige Fahren sowie die akribischen Wartungen haben dem Auto gutgetan – er schnurrt wie ein Kätzchen (…mit Bass-Stimme). Das Auto wurde immer gepflegt und geliebt – das sieht man ihm an. Aber da Herr Schmitz ein etwas flotteres Auto aus Affalterbach mit drei Buchstaben in der Garage und außerdem wenig Zeit hat, sucht der Ponton nun ein neues Zuhause.
Daher darf ich Herrn Schmitz nun dabei beraten, dass das Fahrzeug in pflegende Hände kommt. Der 1960er Mercedes-Benz 190D „Ponton“ soll 52.900 Euro kosten. Interessenten dürfen sich telefonisch melden unter: +49 (0)173 5428605.
Christian Nikolai war über 20 Jahre in der Zentrale der Daimler AG und bei Mercedes-Benz Händlern in verschiedenen Funktionen im Marketing, Vertrieb sowie mit dem Aufbau von ClassicPartner Sparten bei Mercedes-Benz Händlern betraut. Heute ist er als freiberuflicher Unternehmensberater mit seiner Firma RaumLenker MotorConsult tätig, die sich unter dem Leitbild „automotive consulting beyond mainstream“ auf die Entwicklung von Marketing-, Kommunikations- und Vertriebskonzepten für die Automobilindustrie spezialisiert hat. Christian schreibt für Online-Formate wie Mercedes-Fans regelmäßig Artikel zu unterschiedlichen Automotive-Themen, wie z.B. den Blog „3…2…1 – meins: Der Zombie-Kombi. Auferstehung einer Leiche“
Drei Achsen für ein Halleluja (W120 B-III) 1960er Mercedes 180 mit Westfalia-Bestattungsanhänger
1 Kommentar
Egide aus belgien
18. Februar 2021 20:40 (vor über 3 Jahren)
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