1962 gibt es königliche Hochzeiten, legendäre Newcomer-Bands und Nerven zerreißende Fernseh-Krimis zu bewundern. Aber auch Rallye-Siege und raketenhafte Crashtestsvon Mercedes. Bernd Bartels schaut 48 Jahre zurück und fördert einiges Erquickliches zu Tage, wobei Heckflossen und Pontons durchaus eine bemerkenswerte Rolle spielen!
Wo Licht ist, da ist auch Schatten ein Sprichwort, das uneingeschränkt für das Jahr 1962 gilt. Denn neben königlichen Hochzeiten, der Gründung legendärer Bands, Stichwort Beatles bzw. Rolling Stones, und einem Nerven zerreißenden Durbridge-Krimi im Fernsehen, gibt es auch weniger Erfreuliches, wie die Kuba-Krise oder die Jahrhundert-Sturmflut an der Nordsee. Bei Mercedes läuft hingegen alles rund sowohl bei Rallyes, als auch bei raketenhaften Crashtests.
Mit der Rakete auf Kollisionskurs
Früher und konsequenter als viele andere Automobilbauer widmet sich Mercedes-Benz dem Thema Sicherheit. Fahr- und Crashtest gehören bereits seit 1959 zum Entwicklungsprogramm der Stuttgarter. Dabei schrecken die Ingenieure auch vor vermeintlich exotischen Versuchsaufbauten zurück. Wie wäre sonst eine Heißwasserrakete am Heck einer zeitgenössischen Heckflosse zu erklären? Was abenteuerlich klingt, sorgt bei den Crashtests tatsächlich für mehr Praxisnähe. So hat die Rakete die Aufgabe, den Testwagen auf seine letzte Fahrt zu schicken. Die verläuft auf Schienen schnurstracks in Richtung eines Hindernisses, die Rakete sorgt dabei für die Beschleunigung auf die gewünschte Endgeschwindigkeit und schaltet sich anschließend ab. 1962 ist das Premierenjahr dieser Crashvariante. Vorher wurde der Wagen weniger praxisgerecht mit einer Seilwinde Richtung Hindernis gezogen.
Juan und Sophia lieben sich, John F. und Nikita nicht
Ein Traumpaar auf vier Rädern: Die Mercedes-Rallye-Amazonen Ewy Rosqvist und Ursula Wirth
Es ist eine typische Märchenhochzeit: 1962 gibt der spanische Thronanwärter Juan Carlos seiner Prinzessin Sophia von Griechenland in Athen das Ja-Wort. Von einer derart harmonischen Verbindung sind der US-Präsident John F. Kennedy und sein russischer Amtskollege Nikita Chruschtschow weit entfernt. Stattdessen kommt es unter ihrer Amtszeit zur so genannten Kuba-Krise, die die Welt an den Rand eines atomaren Weltkrieges führt. Passend dazu wird der kubanische Staatschef Fidel Castro von Papst Johannes XXIII. exkommuniziert. Kuba ist anno 1962 also nicht unbedingt ein empfehlenswertes Urlaubsziel. So müssen die Deutschen, die ab diesem Jahr einen gesetzlich festgeschrieben Urlaubsanspruch von 15 Tagen haben, eben wieder nach Italien fahren.
Eugen und Ewy gewinnen Rallyes
1962 sind Mercedes-Fahrzeuge eine fest etablierte Größe in der Rallye-Szene. In diesem Jahr debütiert ein neuer Werkspilot am Steuer der Boliden. Sein Name: Eugen Böhringer. Böhringer kennt sich bestens mit schnellen Mercedes und tückischen Kursen aus, schließlich nimmt er bereits seit 1957 im eigenen Mercedes an Rallyes teil. Sein Debüt im Werksteam lässt nichts zu wünschen übrig Böhringer wird auf Anhieb Rallye-Europameister. Auf dem Weg dorthin punktet er mit seinen Beifahrern Peter Lang und Hermann Eger unter anderem bei der Rallye Monte Carlo, der Tulpen-Rallye, der Rallye Mitternachtssonne und der Deutschland-Rallye. Die Rallye Akropolis, die Polen-Rallye und die Rallye Lüttich Sofia Lüttich beendet er in seinem Mercedes Benz 220 SE jeweils auf Platz 1.
Doch nicht nur Böhringer versteht es, einen Mercedes auf Rallye-Pisten pfeilschnell zu bewegen. Auch das schwedische Damenteam Ewy Rosqvist / Ursula Wirth gibt kräftig Gas. Am 4. November 1962 gewinnen sie auf ihrem Mercedes-Benz 220 SEb (W 111) den großen Straßenpreis für Tourenwagen von Argentinien.
Deutschland wird gebeutelt von Stürmen und Krisen
Weder katastrophal noch kriminell, sondern einfach nur vorbildlich: Das Kofferraumvolumen des "Ponton"
Am 16. und 17. Februar 1962 scheint an der deutschen Nordseeküste die Welt unterzugehen: Mit meterhohen Wellen und orkanartigen Böen bricht eine Sturmflut über das Land herein die schwerste seit über 100 Jahren. Sie richtet enorme Verwüstungen an, ganz besonders in Hamburg und Bremen. Allein in Hamburg fordert die Flut 315 Todesopfer.
Im Vergleich dazu ist die so genannte Spiegel-Affäre ein fast schon harmloses Übel. Nach einem kritischen Artikel über die Strafverfolgung in Deutschland wird die Zeitschrift Der Spiegel von politischer Seite des Landesverrates bezichtigt. Daraus entsteht eine emotionale Diskussion, öffentliche Proteste und schließlich die Umbildung der Regierung.
Das Medienereignis des Jahres ist aber eindeutig der Fernsehmehrteiler Das Halstuch. Diesem Durbridge-Krimi gelingt es, während der Sendezeiten das öffentliche Leben in Deutschland praktisch zum Erliegen zu bringen. Kaum einer ist von der Mattscheibe wegzubekommen, wenn Schauspieler Heinz Drache als Kriminalinspektor Harry Yates den Halstuchmörder jagt.
Tschüss Ponton und Adenauer! Letztes Baujahr von W 120/121 und W 186/189
1962 verlassen mit Ponton und Adenauer zwei Automobile die Bühne, die beide als Pioniere gelten dürfen. So ist Ponton der erste Mercedes-Benz mit selbsttragender Sicherheitskarosserie. Das Prinzip der gestaltfesten Fahrgastzelle mit Knautschzonen entwickelt der unsterbliche Bela Barenyi. Sein Entwurf macht das Autofahren im Fall der Fälle deutlich sicherer, weil die Knautschzonen die Aufprallenergie reduzieren, während die Steife Fahrgastzelle die Insassen schützt.
Mit den Baureihen W 186/189 präsentiert Mercedes-Benz auf der IAA 1951 die ersten repräsentativen Oberklasse-Limousine der Marke nach dem 2. Weltkrieg. Also praktisch die Stammväter der heutigen S-Klasse. Sie werden zum Inbegriff von Prestige, Leistung und Luxus. Besonders das Topmodell, der 300er, raubt Autofans den Atem: 6 Zylinder, anfangs 115, später bis zu 160 PS und ein Topspeed von 160 km/h damit ist der große Mercedes Mitte/Ende in den 50ern ganz weit vorne. Seinen Spitznamen Adenauer bekommt er durch den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer, der sich im 300er standesgemäß chauffieren lässt. 1962 endet die Bauzeit des W 186/189. Ihr würdiger Nachfolger wird 1963 der legendäre 600er.
Its only RocknRoll ...
Das rockt! Rallye-Mercedes im "Landeanflug"
... aber alle sind 1962 verrückt danach! Erst recht, als eine britische Band namens The Beatles die Showbühne betritt und gleich mit ihrer ersten Song Love me do für einen Hit sorgt. Doch es hätte auch anders kommen können: Bei Probeaufnahmen für die Plattenfirma Decca fallen die Beatles mit ihrem Sound durch laut Decca ist ihr Gitarren-lastiger Stil nicht in. Aber auch andere Rock-Giganten fangen klein an. So tritt eine Gruppe namens Rolling Stones 1962 erstmals in einem kleinen Londoner Club auf.
Menschen, die für Rockmusik nichts übrig haben, bleibt der Gang ins Kino. Hier flimmern 1962 Lawrence von Arabien und der Karl-May-Film Der Schatz im Silbersee über die Leinwand. Für Fußball-Fans natürlich keine Alternative zur WM in Chile, auch wenn Deutschland im Viertelfinale an Jugoslawien scheitert. Den Pott nehmen schließlich die Brasilianer mit nach Hause.
Viele Laster in Düsseldorf
Alt, aber im Gegensatz zu vielen Transportern nicht aus Düsseldorf: Mercedes W 121
Nichts gegen die Landeshauptstadt von NRW das mit den Lastern ist rein automobil zu verstehen. Denn 1962 beginnt Mercedes-Benz mit der Transporterfertigung im Werk Düsseldorf. Exakt 7998 Fahrzeuge entstehen im ersten Jahr. Seitdem laufen die Laster immer besser: 1990 wird in Düsseldorf der 1.000.000-ste Laster gefertigt, 2001 ist die 2.000.000-Grenze erreicht. Das von den Produktionszahlen beste Jahr ist bisher 2007, in dem über 155.000 Einheiten das Düsseldorfer Werk verlassen.
Prominente Geburtstagskinder
Gut möglich, dass in einem "offenen" Ponton 1962 gerne mal das Lied "Tanze mit mir in den Morgen" geträllert wurde
Jahrgang 1962 sind unter anderem der Fernsehkoch Horst Lichter und Komiker Jim Carrey. Aus sportlicher Sicht ist die Geburt der Kanu fahrenden Rekord-Olympionikin Birgit Fischer sowie die von Bobrennfahrer Christop Langen erwähnenswert. Und auch der Automobilrennsport bekommt Nachwuchs: Rallye-Ass Carlos Sainz, Indycar-Champion Michael Andretti und der leider viel zu früh gestorbene Formel 1-Pilot Roland Ratzenberger erblicken das Licht der Welt. Den Hit des Jahres liefert Gerhard Wendland, der alle die möchten dazu auffordert: Tanze mit mir in den Morgen.
13 Bilder Fotostrecke | Von Krisen, Krimis und Raketen: Die Mercedes-Chronik des Jahres 1962
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