Nur selten gehen Modellpflegen mit einer tiefgreifenden Charakteränderung einher! Beim Mercedes SL 600 ist dies zweifelsfrei der Fall!



Das Design lässt die Muckis spielen und dem Roadster-Coupe bekommt dies außerordentlich gut. Nicht nur weil die neue Front so herrlich zu ihm passt, sondern auch, weil Kenner vieles an diesem Auto entdecken werden, das unmissverständlich „SL“ ist!

„Power Domes?“ Natürlich auch die Power Domes! Gemeint sind damit die beiden parallel in Fahrtrichtung verlaufenden Ausbuchtungen, die ihrerseits schon eine SL-Tradition sind. Die Power Domes zierten bereits den 300 SL von 1954 und glänzten dann lange durch Abwesenheit, bis sie sich erst jüngst wieder dem Design als Stilmittel anboten. Der Schwabe ist eben sparsam, auch mit Retro-Elementen! Dabei wirkt der auf dem SL 600 erkennbare Zitatenschatz nirgendwo besser als hier! Noch ein Beispiel: der einstrebige Grill! Einfach nur schön – das fand übrigens damals auch das Design-Team der Pagode!

Ein bisschen mehr Drama, Baby!

Die Gründe für die im März präsentierte Auffrischung sind schnell erzählt: Sieben Jahre zieht der SL schon seine Kreise. Für diese Baureihe nichts Ungewöhnliches, aber weil der SL noch drei Jahre vor sich hat, war es Zeit für eine Verjüngungskur. Und die fällt ebenso mutig wie gekonnt aus. Sicherlich auch ein Zugeständnis an den amerikanischen Markt und da insbesondere an das unverändert autoverliebte Kalifornien. Dort zeigt man gern, was man hat und man zeigt dort gerne mehr! Aber damit es keine Missverständnisse gibt, der neue SL setzt nicht auf Effekthascherei, er interpretiert seine Tradition neu und unterstreicht optisch, was unter schön geschwungener Form an Technik in ihm lauert! 12 Zylinder, 517 PS, 830 Nm - die Verheißung eines perfekten Fahrgenusses.

Drehmoment satt – vor allem bei den Passanten!

Darf man sich nach einem Mercedes umdrehen? Man sollte - und beim SL tut man's unweigerlich. Egal ob nun bei der coolen Rapper-Crew, die wir in Duisburg Ruhrort beim Foto Shooting trafen, oder im weltgewandten Düsseldorf, wo der Asphalt der „Kö“ mehr Spektakel zu bieten hat als eine mittelgroße Automobil-Messe, der SL wird wahrgenommen. Und wichtiger noch, er fasziniert!





Blickfang SL: das Erscheinungsbild begeistert durch seine Dynamik!

Eine besondere Ehre widerfuhr unserem tiefschwarz glänzenden Testwagen an einer innerstädtischen Ampel, als die Besatzung eines Lambo Gallardo sich stur geradeaus auf einen Punkt im Unendlichen konzentrierte - möglicherweise ahnend oder mehr befürchtend, dass sich der Fahrer beim Beschleunigen noch verschalten sollte. Heijeijei, das macht man doch nicht, wenn neben dem vermeintlichen Brandstifter nur ein Biedermann steht?

Die Magie der sanften Gewalt

517 PS produziert der V12 des SL 600! Doch es scheint eine sanfte Gewalt – zumindest solange das Gaspedal nur gestreichelt wird. Die Akustik ist mehr gedämpfte Ouvertüre als Rock'n Roll, doch lass dich nicht verleiten, die brachialen Kräfte zu unterschätzen. Zugegeben, verglichen mit dem Offensivgeist des Exterieur-Stylings, ist der Sound, den die Vierkanal-Anlage produziert, zurückhaltend. Selbst dann noch, wenn sich der rechte Fuß vorsichtig in Richtung Bodenblech vortastet. Ab 1.800 Touren wird der Schub bei Vollgas brutal, die beiden Abgas-Turbolader entfachen in den Brennräumen einen Hurricane, dessen Sogwirkung die Kolben immer schneller fliegen lässt. Jetzt rast der Puls, weil dich eine unsichtbare Faust in die perforierten – weil klimatisierten - Lederhäute presst, während die 12-Ton-Musik, die aus der Vierkanal-Anlage gefeuert wird, nun deutlich heiserer klingt, aber immer noch unaufdringlich ist. Der Sound ist zurückhaltend, die Leistung nicht.

Es ist nicht schwer, in den ersten beiden Fahrstufen Schlupf an der Hinterhand zu provozieren, doch es beeindruckt wie brutal gut dank der gewählten Abstimmung die Traktion der 19“-AMG-Räder ist. Die Bridgestone Potenza-Gummis verbeißen sich förmlich in den Asphalt.

Wer mag, kann das Inferno der Kraftentfaltung auch über die Lenkrad-Paddel mitgestalten. Eine Option, die bei flotten Passfahrten – vor allem bergab – in Erwägung gezogen werden kann. Ansonsten harmonieren Drehmoment und Fünfgang-Automatik einfach viel zu gut! Was sich auch in der Effizienz niederschlägt. Der 12 Zylinder lässt sich mit 14 Litern fahren, bei forscher Fahrweise ist ein kleiner Zuschlag fällig! In der Stadt blieben wir mit 18 Litern sogar unter den Werksangaben!

Active Body Control: das ABC sportlicher Fahrfreude

Der 12-Zylinder-Sound hat seine guten Seiten, erlaubt er doch ein hohes Reisetempo bei entspannter Geräuschkulisse. Darf man schreiben, dass der SL, das Naturell zum Gentleman-Dragster hat? Er macht's, aber macht's unauffällig und lässt die Fakten für sich sprechen. Von 0-100 km/h vergehen gerade mal 4,5 Sekunden, Vmax ist elektronisch bei 250 km/h festgeschrieben. Das ABC-Fahrwerk meistert im Modus „Komfort“ so ziemlich alle Herausforderungen, die eine Straße zu bieten hat und wäre da in der neu gestalteten Mittelkonsole nicht das Knöpfchen, das einen immer wieder daran erinnert, dass es auch noch einen Sport-Modus gibt, man könnte es dabei belassen und glücklich sein. Der SL 600 liegt in jedem Falle wie ein Brett.

In Stellung Sport teilen sich Unebenheiten vielleicht etwas unmittelbarer mit, jegliche Seitenneigung ist dem SL fremd. Die Becher in den Cup-Holdern könnten randvoll sein – wäre da nicht die unbändige Beschleunigung! Souverän auch die Bremswirkung der vier Scheibenbremsen, die den 2-Tonner aus hohen Geschwindigkeitsregionen unerbittlich abfangen. Sicher, spurtreu, ohne das der Pilot am Lenkrad viel zu korrigieren hätte. Die Präzision des Handlings unterstreicht den sportlicheren Charakter des neuen SL!





Die neugestaltete Mittelkonsole mit dem ebenfalls neuen, serienmäßigen Multimediasystem COMAND

Die Master-Frage: auf oder zu?

Welcher Aggregatzustand ist für dich der Richtige? Auf oder zu? Offen oder geschlossen? Roadster oder Coupé? Keine leichte Entscheidung, die jedoch erfreulicherweise – wenn einmal getroffen – jederzeit zurückgenommen werden kann. Der SL 600 verwandelt sich auf Knopfdruck, in nur 18 Sekunden! Und ist in beiden Varianten „top in shape“! Offenfahren ist ein Genuss, bemerkenswert, dass die exzellente Harmann Kardon-Anlage auch bei hohen Geschwindigkeiten einen respektablen Sound produziert, der sich gegen den Fahrtwind durchsetzt. Und zur Not auch gegen das stumpfe Gehämmer aus dem Auto des Ampelnachbarn.

Bleibt das Dach geschlossen, glänzt der SL 600 mit einer eleganten Coupé-Silhouette, bei der zweimal hinzuschauen ist, um zu erkennen, dass sich das Dach bei Bedarf im Kofferraum zusammenfaltet.

Das Cockpit - ein Fest für die Sinne!

Der Geruch des fein verarbeiteten und elegant tonfarbenen Nappa-Leders passt zu einem Roadster dieser Klasse. Edle Hölzer – hier ein sehr klassisch anmutendes Wurzel-Furnier – und gekonnte Chrom-Akzente supern das von zwei gut ablesbaren Rundinstrumenten dominierte Armaturenbrett, Türverkleidungen und das Lenkrad. Die Verarbeitung erfüllt höchste Ansprüche, die Gestaltung beflügelt die Fantasie. Willst du mit Schlüssel starten, oder mit Druck auf den Anlasserknopf des Automatikwählhebels?

Offen im Winter?

Schon mal bei Minus-Graden offen gefahren? Ein glitzernder Neuschnee-Morgen muss einen nicht mehr kalt lassen! Roadster-Touren im Winter können etwas Herrliches sein. Wäre da nicht dieser bisweilen schneidende Zug! Der SL schafft da Abhilfe: Dank optionalem AIRSCARF-System - Aufpreis 595,00 €- lassen sich nun auch Sonnenstunden bei niedrigeren Temperaturen nutzen. Zwei Propeller je Kopfstütze saugen die Luft direkt im Nackenbereich an, die dann über eine Düse wieder ausströmt. Die aufgeheizte Luft legt sich wie ein unsichtbarer Schal um Hals und Nacken. Eine nahezu unbezahlbare Idee!

Fazit: Der neue SL ist eleganter, sportlicher, und deutlich emotionaler. Letzteres hilft, wenn es darum geht, die Börse zu zücken. Aber automobile Ausnahmeerscheinungen haben nun mal ihren Preis und der liegt beim SL 600 bei 146.846.00 Euro. Und - wen wundert's - natürlich gibt es noch eine Optionsliste, um den SL 600 zu individualisieren und ihn so noch ein Stück näher an die persönliche Ideal-Vorstellung heranzubugsieren. Herrlich!







Fotos: Uwe Weber

Technische Daten

Typ: Mercedes-Benz SL 600



Motor: V12, 3 Ventile pro Zylinder, Hubraum 5513 ccm, Bohrung x Hub 82 x 87 mm,Verdichtung 9,0 : 1

Leistung: 517 PS bei 5000/min

max. Drehmoment: 830 Nm bei 1900-3500/min

Getriebe: Fünfgang-Automatik

Fahrwerk: vorn Vierlenkerachse, hinten Raumlenkerachse, aktive Fahrwerkregelung Active Body Control

Bremsen: Scheibenbremsen vorn und hinten innen belüftet, vorn perforiert, ABS, ESP®

Lenkung: Zahnstangen-Servolenkung mit Parameter-Funktion

Felgen: 8,5 J x 19 (v) & 9,5 J x 19 (h)

Reifen: 255/40 R 19 (v) & 285/35 R 19 (h)

Länge/Breite/Höhe: 4562/1820/1298 mm

Radstand: 2560 mm

Gewicht: 2045 kg

Zulässiges Gesamtgewicht: 2320 kg

Tankinhalt/davon Reserve: 80/10 l

0-100 km/h: 4,5 s

Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h

Kraftstoffverbrauch:. 13,9 l/100 km

Testwagenpreis: 156.000 Euro

58 Bilder Fotostrecke | Mercedes 600 SL: Mehr Sportlichkeit, mehr Adrenalin, mehr SL! Fotos: © Uwe Weber #01 #02