Im Hause Daimler ist der Mercedes EQS (V297) fraglos das wichtigste Auto des Jahres und einige machen ihn für die Schwaben gar zum Auto des Jahrzehnts. Mit der elektrischen Luxuslimousine will Mercedes die Topklasse neu definieren, doch an die echte Mercedes S-Klasse kommt der EQS nicht heran.
Erst vor ein paar Tagen verkündete Daimler-CEO Ola Källenius, dass man den Konzern in den kommenden Jahren komplett auf Elektromobilität drehen wolle. Gelingen soll das mit Modellen wie dem Mercedes EQS, der die Elektrokaskade von oben herunterdekliniert. So lang wie eine Mercedes S-Klasse, Dank 3,21 Metern Radstand Platz im Überfluss und elektrische Reichweiten von weit über 700 Kilometer ohne nachzuladen, sollen die Befindlichen der nörgelnden Elektrokritiker vergessen machen. Dabei muss man sich erst einmal mit dem Design arrangieren, denn es heißt im hauseigenen Fachjargon „One Bow“ statt „Three Box“ und an diese Bogenform muss man sich bei einer Luxuslimousine mit 5,22 Metern erst einmal gewöhnen. Lange Jahre waren diese Fließhecklimousinen gerade in den großen Fahrzeugklasse verpönt und Modelle wie ein Rover 3500, ein Ford Scorpio oder ein Citroen CX 25 standen nicht für klassischen Luxus auf vier Rädern.
Kein Herankommen an die S-Klasse
Das soll sich mit Modellen wie dem Mercedes EQS ändern, denn die neue Form bringt eine beeindruckende Aerodynamik und jede Menge Platz im Innern. Dort ist der EQS in der Tat opulent dimensioniert, auch wenn er in Sachen Reisekomfort keinesfalls an eine aktuelle Mercedes S-Klasse herankommt. Es gibt ihn nur mit einem normalen Radstand, während das Aushängeschild des Luxussegments mit drei Radständen angeboten wird. Der große Luxus fehlt gerade in der zweiten Reihe und so werden sich gerade die in Asien so wichtigen Chauffeurfahrzeuge in Grenzen halten. Man sitzt durch das im Unterboden verbaute Akkupaket deutlich höher als beim Verbrenner-Bruder aus Sindelfingen. Es gibt weder eine luxuriöse Einzelsitzanlage, noch kann man die Umgebung wie bei einer Luxuslimousine gemeinhin möglich, elektrisch durch Jalousien an den Seitenfenstern oder am Heck verschatten. Der Laderaum der Schräghecklimousine ist mit 610 bis 1.770 Liter gigantisch.
Gigantischer Hyperscreen mit eingeschränkten Funktionen
Auch der Reisekomfort ist ein anderer als man es von der Mercedes S-Klasse kennt. Die federt durch ihre Luftfederung weich und mit grenzenlosem Komfort über alle nur erdenklichen Bodenunebenheiten hinweg. Fahrer und Passagiere in der ersten wie zweiten Reihe des elektrischen Mercedes EQS bemerken, dass es bei der Fahrt entkoppelter, aber irgendwie etwas strammer als bekannt zugeht, was allemal Fahrspaß bereitet. Dabei ist die Ruhe während der Fahrt mehr als beeindruckend. Man wirkt von der Außenwelt entkoppelt wozu nicht nur das spektakulär geringe Geräuschniveau, sondern auch der gigantische Bildschirm namens Hyperscreen beiträgt, der beim elektrischen Topmodell der Schwaben das Armaturenbrett in Gänze ersetzt. Drei Displays für Fahrer, Beifahrer und als Zentraleinheit bespielen die Umgebung auf beeindruckende Weise. Dabei ist das scharfe Display für den Copiloten zwar gut und schön; seine Funktionen jedoch kaum mehr aus auf dem zentralen Hochkantdisplay. Aktuell lassen sich hier währen der Fahrt für den Beifahrer keine Filme schauen oder im Netz surfen. Einen echten Mehrwert gibt es somit nur auf den beiden weiteren Bildschirmen im Fond.
Der EQS ist bei 210 km/h elektronisch abgeriegelt
Für den Fahrer ändert sich mit dem nicht von allen Kunden beklatschten Umstieg auf den Elektroantrieb und das völlig neue Paket mit den Batterien zwischen den Achsen einiges. Er wird zum entspannten Cruiser und kann sich von der wirklich schnellen Autobahnfahrt verabschieden. Durchaus überraschend reicht der Tacho wie bei den schwächlich motorisierten Fahrzeugen von einst nur bis 220 km/h. Der Grund liegt auf der Hand, denn der Mercedes EQS wird anders als die Mercedes S-Klasse nicht bei 250, sondern bereits bei schlappen 210 km/h abgeriegelt. Schneller wird nur die im Herbst vorgestellte AMG-Variante fahren dürfen. Damit setzt sich Mercedes bewusst ab und verfolgt zwar nicht den strikten Volvo- und Renault-Weg mit einer Abregelung bei 180 km/h, doch 210 km/h sind in der Luxusklasse auch gegen die anderen Elektromodelle von Tesla Model S, Porsche Taycan oder Audi E-Tron GT überraschend wenig.
In 15 Minuten 260 Kilometer tanken
Gerade auf dem Heimatmarkt dürfte das den ein oder anderen Kunden abschrecken, denn Tempo 210 sind auf der linken Autobahnspur nicht viel. Insbesondere, weil der Antrieb des Mercedes EQS gerade als 580 4matic keine Wünsche offenlässt. Die beiden Elektromotoren an Front und Heck des 5,22 Meter langen Mercedes EQS leisten 385 kW / 522 PS und ein maximales Drehmoment von 855 Nm. Die verzögerungslose Beschleunigung des Mercedes EQS ist gerade beim allradgetriebenen 580er unabhängig vom angewählten Fahrprogramm oder dem Grad der eingestellten Rekuperation spektakulär. Denn die 0 auf Tempo 100 in 4,3 Sekunden haben keinen nennenswerten Realitätsbezug, doch die Zwischenspurts sind nahezu aus jedem Tempo nicht weniger als atemberaubend – das kann eben nur ein Elektromotor. Mit DC-Schnellladung mit maximal 200 kW soll der EQS in 15 Minuten um bis zu 260 Kilometer erstarken oder in einer halben Stunde auf 80 Prozent seiner Leistungsfähigkeit kommen. An der heimischen Wallbox mit 11 Kilowatt vergehen aktuell zehn Stunden, bis das Akkupaket wieder komplett gefüllt ist.
Der Allradler packt maximal 670 Kilometer
Der Mercedes EQS will in erster Linie jedoch nicht nur seine Fahrleistungen beeindrucken, sondern durch seine Effizienz. Durch das mächtige Akkupaket im Unterflur und einen Normverbrauch zwischen 18,3 und 21,4 kWh / 100 km sollen selbst für den Allradler Maximalreichweiten von über 670 Kilometern drin sein. Und das Fahren macht wirklich Laune, denn man gibt sich viel schneller als man es erwartet hätte, dem lässigen Cruisen hin. Entspannt und geräuschlos säuselt der 2,6 Tonnen schwere Koloss über Landstraßen und Autobahn – bereit in jede Lücke zu springen und dann wieder den Luxusliner zu mimen, den nichts aus der Ruhe bringen kann. Für mehr Agilität sorgt die serienmäßige Hinterachslenkung, die es einem gerade in der City ermöglicht, wendiger zu sein und in Parklücken zu schlüpfen.
Die S-Klasse spielt in einer anderen Liga als der EQS
An das im Vergleich zur Mercedes S-Klasse strammere Anfedern gewöhnt man sich ebenso wie an die leichtgängige Lenkung, die gut zum Charakter der elektrischen Luxuslimousine passt. Das gilt für den verwöhnten S-Klasse-Kunden jedoch nur eingeschränkt für das generelle Gefühl, denn in Sachen Luxus, Detailliebe und speziell Sitze ist die ehrwürdige S-Klasse in einer anderen Liga das der neue EQS. Mal schauen, ob sich die Kunden damit gerade in der alten Welt arrangieren können. Denn bei den Kosten wird es keine großen Unterschiede geben. Die Preise eines Mercedes EQS 580 4MATIC werden jedoch mindestens auf dem Niveau eines vergleichbaren Verbrenners wie dem Mercedes S 580 4MATIC liegen. Das wären dann rund 130.000 Euro.
Technische Daten des Mercedes EQS 580 4MATIC
Motor: Elektroantrieb – vorne / hinten
Leistung: 385 kW / 522 PS
Max. Drehmoment: 855
Beschleunigung 0 – 100 km/h: 4,3 Sekunden
Antrieb: Allrad
Höchstgeschwindigkeit: 210 km/h
Normverbrauch: 18,3 – 21,4 kWh / 100 km
Laderaum: 610 – 1.700 Liter
Leergewicht: 2.585 kg
Zuladung: 475 kg
Preis: ca. 130.000 Euro
51 Bilder Fotostrecke | Mercedes EQS 580 4MATIC im Fahrbericht: EQS in diamond white
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