Reichte früher ein simples Radio, mutiert ein Auto heute zu einem rollenden Unterhaltungspalast. Mittlerweile gibt China den Ton bei diesem immer wichtigen Element ab. Die deutschen Hersteller hecheln hinterher und tun sich nach wie vor mit der Transformation schwer.
Die Pläne waren hochfliegend. Um sich beim autonomen Fahren nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen, taten sich Audi, Mercedes und BMW vor sieben Jahren zusammen und legten rund 2,8 Milliarden Euro auf den Tisch, um sich den Kartendienst Here zu sichern. In einem waren sich die Premiumhersteller, die sonst erbittert um Marktanteile streiten, einig: Ohne präzises Kartenmaterial enden die Robo-Autos in der technologischen Sackgasse. Und man wollte sich nicht zum Dienstleister der datenhungrigen Konkurrenz aus den USA (Google) oder China degradieren lassen. Die nächste Konsequenz aus dieser angestrebten Unabhängigkeit war die Installation eigener Infotainment-Entwicklungszentren.
VW nahm viel Geld in die Hand und stampfte die Software-Schmiede Cariad aus dem Boden. Nicht nur die Kernmarke sollte bei den Algorithmen auf eigenen Beinen stehen, sondern der gesamte Konzern. Man hatte das Gefühl, dass jeder der drei Zeilen der Einsteiger-Programmiersprache Basic beherrschte, einen Arbeitsvertrag bekam. Dem Bits-und-Bytes-Gründungsrausch ist mittlerweile die Ernüchterung gefolgt. Cariad mutiert zum Milliardengrab. Ein wesentlicher Faktor der Schwierigkeiten: Die Software-Architekten sollten neben den Zukunftsprogrammen auch noch die Software bestehender Konzernmodelle renovieren und verzettelten sich. Die Folge: Die mit großen Vorschusslorbeeren angepriesene Software E3 2.0 kommt mit der neuen Plattform SSP, die erst in der zweiten Hälfte der Dekade eingeführt wird. Es hakt an allen Enden. VW zieht die Reißleine, will offenbar Tausende Stellen streichen und holt sich beim Intotainment-Software-Zwischenschritt E3 1.2 Google in Form des Betriebssystems Android Automotive ins Boot. Auch wenn die gewieften Marketing-Spezialisten den App Store wortgewaltig preisen, ist dieses Bündnis ein Eingeständnis des Scheiterns. Angesichts der Software-Probleme, mit denen VW zu kämpfen hatte, dürfte diese Kooperation für die Autofahrer nur Vorteile bringen. Noch ist nicht klar, ob die 2.0er-Version so umfänglich aus eigener Algorithmen-Feder stammt wie angekündigt. Auch hier könnte die Zwickmühle bestehend aus Sparzwängen und Funktionsproblemen die Tür für Android Automotive beziehungsweise Google weiterhin offenhalten.
Doch die Wolfsburger sind nicht die einzigen, die sich den ehemaligen „Feind“ ins Software-Bett holen. Schließlich schlagen die Programmierer in Shanghai und im Silicon Valley ein immer schnelleres Tempo vor, mit dem einige eingesessene Hersteller nicht mehr mithalten können und wollen. Die Autos der Zukunft sind mehr Lounge und Habitat als Spaßmobile. Mercedes kann die Software-Revolution ebenfalls nicht mehr alleine stemmen. Das Betriebssystem haben die Mercedes-Techniker selbst entwickelt, da es auf Linux basiert, ist es offen für Partner wie Nvidia, die am Robo-Auto tüfteln. Aber eben für Android Automotive. Die Schwaben nutzen das Betriebssystem der Zukunft MB.OS und schaffen eine Plattform, auf der verschiedene Android-Apps laufen. Also auch Google Maps und andere Dienste. „Das Ziel ist, MB.OS so gut zu machen, dass man das Telefon nicht spiegeln muss“, macht Mercedes Entwicklungsvorstand Markus Schäfer die Intention der Zusammenarbeit deutlich. Klar ist aber auch, dass Google kein Wohlfahrtsunternehmen ist, sondern sich seine Teilnahme an der neuen schönen Mercedes-Welt bezahlen lässt. Experten gehen von einer jährlichen Lizenzgebühr in zweistelliger Millionenhöhe aus. Mindestens. „Wir kommentieren keine Zahlen“; wiegelt der Mercedes-Chef ab und ergänzt: „Es ist eine Win-Win-Situation.“ Die Zeit wird zeigen, ob beide Partner gleichermaßen glücklich mit der Partnerschaft sind.
Einen ähnlichen Weg geht BMW bei seinem OS 9, das ebenfalls auf Linux basiert und dessen Infotainment-Baustein Android Automotive inklusive Appstore integriert, der für die Münchner maßgeschneidert wird. Auch hier spielt das aus Fernost getriebene Nutzerverhalten der Autofahrer eine wichtige Rolle, die das Smartphone-Multimedia-Erlebnis im Auto genießen wollen. Aus Freude am Fahren wird so Freude am Schauen und Spielen. Schließlich will man ja im Stau oder beim Warten unterhalten werden. In China nutzen viele Menschen ihren Wagen auch als Rückzugsraum während der Pausen.
So mancher deutsche Hersteller streckt die Waffen, um die Erwartungshaltung der Kunden zu erfüllen. Geely-Marken wie Polestar und Volvo haben schon vor einigen Jahren einen anderen Weg eingeschlagen und sich offen zur Kooperation mit Google beziehungsweise Android bekannt. Allerdings erreichen die Bedienlogik und die Anmutung des Infotainmentsystems nicht immer die Geschmeidigkeit der smarten mobilen Telefone. Da haben BMW und Mercedes die Nase vorn.
Stellantis geht bei seinen Modellen wie den Opel Astra einen grafisch und funktionstechnisch weniger opulenten Weg, setzt aber dabei weitestgehend auf hausgemachte Software. Aber auch in Paris und Rüsselsheim beugt man sich dem vergnügungssüchtigen Zeitgeist und entwickelt das Infotainmentsystem der Zukunft mit Amazon. Also auch da geht es ohne fremde Hilfe nicht.
1 Kommentar
Egide aus belgien
28. November 2023 21:03 (vor 12 Monaten)
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