Bei der Elektromobilität herrschte seit Jahren das Henne-Ei-Prinzip. Was muss zuerst da sein – die Ladesäulen oder die Elektroautos? Doch die Zeit der Kinderschuhe ist vorbei und so langsam kippt das einstige Übergewicht der Ladestationen. Weil der Nachschub stockt.
Dabei steigt die Zahl der Ladestationen in Deutschland durchaus spürbar. Waren es Anfang des Jahres 2022 gerade einmal 52.000 Ladestationen, an denen Elektroautos und Plug-in-Hybriden nachtanken konnten, so liegt die Zahl Ende Anfang November 2022 bei knapp über 70.000 Stück. Doch der an sich stattliche Zuwachs kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schere zwischen Ladestationen und Elektroautos immer weiter auseinandergeht. Wer mit einem Elektroauto im Alltag unterwegs ist, der hat es in diesem Jahr oftmals gespürt. Die bereits 2021 zunehmend angespanntere Lage in den Innenstädten hat sich in Europa und speziell in Deutschland deutlich verschärft. Der Grund liegt auf der Hand, denn auch wenn Pandemie und Halbleiterkrise die Autoindustrie unverändert im Würgegriff haben und hunderttausende von Fahrzeugen auf eine sukzessive Fertigung warten, rollen Monat für Monat immer mehr Elektroautos auf die Straßen.
Und auch wenn die Zahl der Ladesäulen stetig wächst – sie kommt bei der kaskadenartig steigenden Fertigung der neuen Elektromodelle nicht annähernd hinterher. Vergangen sind die Zeiten, in denen man mit dem Auto einfach vorfuhr, sich den Elektroparkplatz aussuchte und den Stecker in den Ladeadapter steckte. Gerade in den Innenstädten sieht es mit freien Parkplätzen für Elektrofahrzeuge längst schlecht aus. Noch schwieriger ist die Lage in vielen Parkhäusern, denn hier kommen auf hunderte von Parkplätzen gerade einmal eine Handvoll Ladesäulen. Wer bei den unterschiedlichen Parkhausbetreibern nachfragt, bekommt unisono die gleiche Antwort. Die Kosten, in einer bestehenden Garage Ladesäulen zu installieren sind bei einem älteren Bestandsgebäude groß. Zudem reicht bei vielen Garagen auf den einzelnen Etagen die Infrastruktur nicht aus, um an viele Stellplätze Strom für Ladestecker zu bekommen.
Doch es hakt nicht nur an Ladesäulen an sich, sondern speziell solchen, die eine Schnellladefunktion haben, die bei mindestens 50 Kilowatt beginnt. Noch dünner sieht es mit Blick auf die Innenstadtkarten von München, Stuttgart, Berlin oder Hamburg aus, wenn es um die besonders beliebten Hypercharger mit einer Ladegeschwindigkeit von mindestens 150 Kilowatt geht. Ein großes Problem ist dabei der Ladesäulenmonopolismus. Nach Informationen des Hamburger Stromanbieters Lichtblick sind die meisten Ladepunkte fest in der Hand der städtischen Energiebetreiber. Demnach betreibt Enercity in Hannover 89 Prozent aller Ladepunkte. Auch in Mannheim (90 Prozent MVV) oder Wiesbaden (91 Prozent ESWE) ist die Situation eindeutig. In München (85 Prozent Stadtwerke München), Köln (88 Prozent Rheinenergie), München oder Hamburg (83 Prozent Stromnetz Hamburg) bietet sich ein ähnliches Bild. Da sticht Berlin, wo 70 Prozent der Ladesäulen zu den Berliner Stadtwerken gehören, fast schon positiv heraus. Die Städte beziehungsweise die regionalen Energieunternehmen machen zumeist ihr ganz ihr eigenes Ding – dagegen können auch die gescholtenen Autohersteller wenig machen. Unter dem Anbieter Ionity haben diese sich zwar in einer Initiative zusammengefasst, doch hier geht es in erster Linie um ein internationales Schnellladenetz entlang der großen Verbindungsstrecken, um einem Elektrowettbewerber wie Tesla ausreichend Paroli bieten zu können.
Eines der größten Schnellladenetze in Deutschland betreibt EnBW, die aktuell mehr als 750 Hypercharger in ihrer Liste haben. Bis 2025 soll die Zahl auf 2500 steigen, doch gibt es die Ladeparks in erster Linie an Autobahnen und Verkehrsknotenpunkten. In den Innenstädten haben eben zumeist die regionalen Betreiber die Oberhand und wollen selbst Geld verdienen – mit langsamen Ladestationen. Daher kommen Betreiber wie EnBW nur über Kooperationen in die Innenstädte, weshalb die Schnellladesäulen immer häufiger auf Parkplätzen von Supermärkten, Drogerien, Burgerketten oder Baumärkten stehen. Doch auch hier wird es nicht nur am Wochenende langsam enger.
Weil sich immer mehr Kunden für ein Elektroauto interessieren. Im vergangenen Monat stieg die Zahl der Neuzulassungen mit alternativem Antrieb um 11,2 auf knapp 46 Prozent. Mehr als ein Viertel (26,8 Prozent / + 10,7 Prozent) entfiel dabei auf Neuwagen mit einem Elektroantrieb. Knapp 15 Prozent aller neuen Auto sind aktuell reine Elektroautos – Tendenz mit einem Zuwachs von 21,3 Prozent stark steigend. Die Zahl läge sogar noch höher, wenn die Autohersteller liefern könnten. Pandemie und Halbleiterkrise sorgen dafür, dass in den Auftragsbüchern hunderttausende von Fahrzeugen mit Stecker parken, die aktuell nur mit monatelanger Verzögerung produziert und ausgeliefert werden können. Besonders hoch ist die Anzahl elektrifizierter Modelle bei Audi (69,1 Prozent), BMW (65 Prozent) und Mercedes (50 Prozent).
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