Aufreger bei Formel 1 Testfahrten in Barcelona

Mercedes an der Spitze mit Technik-Kniff, Racing Point mit Mercedes-Kopie

Aufreger bei Formel 1 Testfahrten in Barcelona: Mercedes an der Spitze mit Technik-Kniff, Racing Point mit Mercedes-Kopie
Erstellt am 25. Februar 2020

Schon die ersten Testfahrten der Formel 1 Saison 2020 hatten es in sich. Dass die amtierenden Weltmeister vom Mercedes-AMG Petronas F1 Team die Zeitenlisten anführten, durfte keinen überraschen. Dass das Kundenteam Racing Point mit einer exakten Kopie des letztenjährigen Silberpfeiles antraten und auf Anhieb schnellstes Mittelfeld-Team wurden, rief schon deutlich mehr Kritiker auf den Plan. Den Vogel schoss aber das Weltmeisterteam selbst ab, als es einen genialen Technik-Trick mit einem verschiebbaren Lenkrad präsentierte.

Es war der Aufreger dieser Tests: Das Mercedes-AMG Petronas F1 Team hat während der Testfahrten in Barcelona ein komplett neues Lensystem namens DAS ausprobiert, bei dem während der Fahrt durch verschieben des Lenkrades die Achsgeometrie verstellt werden kann. Mutmaßlich wird auf langen Gerade durch mehr Vorspur die Reifentemperatur hoch gehalten, um dann beim einlenken in die erste Kurve bestmöglichen Grip zu haben. Dafür zieht der Fahrer am Anfang der Geraden das Lenkrad ein Stück heraus und schiebt es beim Anbremsen wieder hinein. Dieses rein mechanische System ist laut FIA für 2020 legal, weil es nur die Lenkgeometrie ändert, aber keine (verbotenen) Eingriffe ins Fahrwerk unternimmt.

Hier ein Video, in dem die Wirkungsweise gut zu erkennen ist:

Wie groß der Vorteil dadurch ist, steht in den (Mercedes-) Sternen, viel wichtiger ist jedoch der Nackenschlag an die Konkurenz. Auch nach unzähligen Meistertitels ruht man sich in Brackley nicht aus, sondern lässt all die Superhirne weiter auf Höchstdrehzahl laufen. Keine guten Aussichten für Ferrari, Red Bull & Co., den weiter bestehenden Rückstand aufzuholen.

Dreiste Kopie oder genialer Schachzug von Racing Point?

Das MB-Kundenteam Racing Point hat für diese Aufgabe einen ganz anderen Ansatz gewählt. Die pinken Panther kopierten einfach dreist das 2019er Weltmeisterauto von Mercedes quasi 1:1 und fuhren damit bei den Testfahrten allen direkten Konkurrenten davon. Dabei machte man auch gar keinen Hehl daraus, dass man sich die Details vom Silberpfeil abschaute, verwies aber darauf, dass trotzdem alle relevanten und vorgeschriebenen Teile reglementskonform in Eigenregie entwickelt und hergestellt wurden. Nur eben mit einer Vorlage. Das entspricht zwar dem Reglement, hat aber schon einen gewissen Beigeschmack.

Ferrari hatte einige kleine Problemchen, ließ aber auch die Motoren bei Weitem nicht auf voller Last laufen, um das wahre Potenzial des Autos zu verschleiern. Bei Red Bull sah es so aus, als wenn man einigermaßen mithalten könnte. Allgemein dienen diese ersten Testfahrten aber eher zur Validierung der Daten udnd zum Kennenlernen der Autos, weshalb man den Zeiten keine allzu große Bedeutung beimessen sollte. Spannender wird es in der zweiten Testphase, die am 26.02. ebenfalls in Barcelona beginnt.

Stimmen zu den Testfahrten

Lewis Hamilton
Das Team hat großartige Arbeit geleistet und es ist super, dass unsere Zuverlässigkeit schon so stark ist. Das Auto hat sich gut angefühlt. Hinter uns liegt eine ordentliche erste Woche, in der wir viele Kilometer zurückgelegt haben. Das ist ein Beweis für die fantastische Arbeit, die alle in der Fabrik und hier an der Strecke geleistet haben. Ich bin auf jeden Einzelnen von ihnen wahnsinnig stolz. Jetzt müssen wir weiter hart arbeiten, die ganzen Daten aus dieser Woche analysieren und herausfinden, wie wir unser Auto weiter verbessern und nächste Woche darauf aufbauen können.
 
Valtteri Bottas
Der heutige Tag hat richtig Spaß gemacht, besonders, weil ich einige kürzere Runs fahren und das Auto etwas mehr ans Limit pushen konnte. Dadurch konnten wir ein wenig mehr von der Performance des Fahrzeugs sehen. Das hat mir gefallen und es hat sich wirklich gut angefühlt. Es scheint, als ob wir uns seit gestern beim Setup verbessert hätten. Das Auto ist sehr fahrbar und ich bin sicher, dass wir es mit noch etwas mehr harter Arbeit in der nächsten Woche noch besser machen können. Das ist auf jeden Fall unser Ziel. Alles in allem war es ein richtig guter erster Test. Wir haben uns jeden Tag ein wenig mehr mit dem Auto gesteigert. Vielen Dank an jedes einzelne Teammitglied, das an diesem Auto und Motor gearbeitet hat. Ihr habt einen großartigen Job abgeliefert! Jetzt freue ich mich darauf, nächste Woche wieder im Auto zu sitzen.
 
James Allison
Nach der kurzen Pause am gestrigen Tag war es gut, wieder einen ordentlichen, zuverlässigen Tag ohne Unterbrechungen zu erleben. Beide Fahrer konnten ihr Programm aus Setuparbeiten und einem ersten Test der weicheren Reifenmischungen abschließen. Es war nur ein sehr flüchtiger Blick darauf, aber es war eine sehr nützliche Vorbereitung für die zweite Testwoche, in der wir mehr von den weichen Reifen haben werden. Insgesamt war es eine gute erste Woche. Das Auto war weitgehend zuverlässig und die Performance war im Laufe der Woche ebenfalls vernünftig. Natürlich gibt es noch viel zu tun und daran werden wir in der zweiten Woche arbeiten. Aber es ist eine gute Basis. Gegen Ende der ersten Woche erhalten wir langsam ein erstes Gefühl dafür, wo jedes Team im Kräfteverhältnis steht. Gerade nachdem wir jetzt ein paar Renndistanzen gesehen haben. Es wird jedoch noch sehr interessant, zu sehen, wie sich unsere Einschätzungen in der zweiten Woche entwickeln werden.

Special-Feature für F1-Nerds: Was wir in der ersten Testwoche gelernt haben

"Rundenzeiten sind bei den Testfahrten nicht alles." Dieser Satz ist während des Winters häufig zu hören und wird so oft wiederholt, dass er mehr oder weniger als Fakt angesehen wird. Aber ist das auch wirklich so? Fragt einmal die Strategen des Teams und wartet ihre Reaktion ab.
 
Die Analyse der Testzeiten wird alles andere als bedeutungslos angesehen. Jedes Team studiert die Daten, um ein erstes Bild des Kräfteverhältnisses zu erhalten. Dabei kommen Methoden zum Einsatz, die über viele Saisons hinweg entwickelt wurden. Mit diesen ist es mit überraschender Präzision möglich, herauszufinden, was hinter den Bestzeiten während der Wintertestfahrten steckt.
 
Es stimmt natürlich, dass die Strategen sich einer ganzen Reihe an Unbekannten gegenübersehen. Zum Beispiel die Benzinmenge, die Motor-Modi, die Reifenperformance und wie stark der Fahrer ans Limit gegangen ist. All das hat Einfluss auf die Rundenzeiten und alle diese Faktoren sind entweder unbekannt oder zumindest teilweise nicht bekannt. Die Testzeiten sind aber dennoch alles andere als bedeutungslos. Wer sie sich lange genug ansieht, entdeckt allmählich ihre Geheimnisse.
 
Wir beginnen mit den Dingen, die wir wissen. Wir kennen die Rundenzeit. Wir kennen die Anzahl der absolvierten Runden. Wir kennen mit ziemlicher Genauigkeit die Menge Benzin, die pro Runde verbraucht wird. Wir wissen aus unseren Simulationen, wie viel schneller ein Auto mit jeder Runde wird, wenn es Benzin verbraucht. Zudem wissen wir mit einer ausreichenden Genauigkeit, wie viel langsamer ein Reifen mit jeder gefahrenen Runde wird. Außerdem haben wir Schätzungen für die Rundenzeit-Unterschiede zwischen den verschiedenen Reifenmischungen, die im Laufe des Tests immer genauer werden. Mit diesen Daten können wir nun mit der Kalkulation beginnen.
 
Es mag seltsam anmuten, aber die Angewohnheiten der Teams bleiben immer relativ gleich. Sie tendieren dazu, jedes Jahr ähnliche Dinge zu machen. Viele Teams fahren mit drei Benzinmengen: einer geringen Menge für Performance Runs, einer mittleren Menge für den Großteil ihrer Arbeit und mit vollen Tanks für ihre Rennsimulationen. Bei jedem Team sind diese drei Mengen unterschiedlich, aber seltsamerweise variieren sie nicht so stark von Jahr zu Jahr. In unserer Erstannahme gehen wir deshalb davon aus, dass jedes Team das gleiche wie im Vorjahr macht.
 
Nun haben wir eine Reihe an Testzeiten für das Feld und eine Reihe an (geschätzten) ersten Annahmen mit welcher dieser drei Benzinmengen jedes Auto gefahren ist. Daraus können wir nun ein grobes Gesamtbild für das Kräfteverhältnis berechnen. Diese ersten Schätzungen sind natürlich sehr ungenau. Das Kräfteverhältnis basiert größtenteils darauf, wie gut die ersten Schätzungen waren. Wenn man zum Beispiel davon ausgeht, dass ein Team 50 kg im Tank hatte, es in Wahrheit aber 100 kg waren, dann hat man dessen Pace deutlich unterschätzt.
 
Im Laufe der Testtage werden diese Schätzungen aber mit jedem Run immer mehr verfeinert. Dabei kommt eine simple Methode zum Einsatz, um die untere Grenze der Spritmenge im Auto anzupassen. Wir zählen die Runden. Wenn ein Auto zehn Runden fährt und wir wissen, dass es pro Runde beispielsweise 1,7 kg verbraucht, müssen also auf diesem Run mindestens 17 kg im Auto gewesen sein. Die Teams fahren bei normalen Tests nur ungerne bis zum letzten Tropfen, also ist es wahrscheinlich, dass mindestens 27 kg im Tank waren. Wenn unsere ursprüngliche Annahme war, dass dieses Team bei Testfahrten normalerweise 50 kg im Auto hat, dann passen wir unsere erste Annahme an und sagen, dass wahrscheinlich ein Wert zwischen 27 kg und 50 kg im Tank gewesen ist. Sobald ein Team viele Runs absolviert hat, fällt dieser Schätzwert überraschend genau aus.
 
Wenn wir erkennen, dass ein Auto in seiner Pace deutlich schwankend ist, dann gehen wir provisorisch davon aus, dass es auf eine der anderen Benzinmengen umgestellt wurde. Wenn es etwa plötzlich deutlich schneller wird, gehen wir davon aus, dass es auf das "Performance"-Niveau umgestellt wurde, das näher an einen Qualifying-Versuch herankommt.
 
Die richtigen Einblicke erhalten wir aber, wenn ein Team eine Renndistanz in Angriff nimmt. Wenn ein Team eine komplette Renndistanz mit Reifenwechseln bei Boxenstoppübungen absolviert, gehen wir davon aus, dass die Tanks nahezu voll sind. Das grenzt die Fehlermarge in unseren Schätzungen dramatisch ein und wir können die Rennzeiten mehr oder weniger direkt miteinander vergleichen.
 
Neben der sukzessiven Erfassung der Benzinmengen bei den Testfahrten achten die Strategen auch auf die Geschwindigkeiten und die Beschleunigung, die man auf dem GPS-System erkennen kann. So können sie Veränderungen bei der PU-Leistung erkennen. Wenn die Teams die Power-Modi durchwechseln können wir einschätzen, welche Power-Level für jeden PU-Typ zur Verfügung stehen und wann sie eingesetzt wurden. Dadurch können wir die Einschätzung der Pace für jedes Team verfeinern und sie um den Einsatz der Motor-Modi auf jedem Run bereinigen.
 
Am Ende des ersten Tages ergibt sich so ein vages Bild. Bis zum Ende des ersten Tests wird dieses Bild aber immer klarer.
 
Was lässt sich nun nach den ersten drei Testtagen über die Zeitenliste sagen? An dieser Stelle wird es knifflig, weil alle diese Schätzungen an der unteren Grenze liegen. Man kann mit gewisser Zuversicht sagen, dass seine Konkurrenten "mindestens so schnell wie X sind", aber man weiß nicht sicher, um wie viel schneller sie hätten sein können. Niemand möchte zugeben, dass er schneller als ein anderes Team ist, weil er sich dabei nie sicher sein kann, was noch im Verborgenen geblieben ist oder was als nächstes folgt. Zum Beispiel: Wird Red Bull ein erhebliches Upgrade-Paket zum zweiten Test mitbringen? Oder: Warum hat Ferrari bei diesem Test seine PU konstant auf einem niedrigeren Level betrieben als bei seinen Partnerteams?
 
Was wir aber sagen können, ist, dass wir in Melbourne einen engen Kampf um die Spitze erwarten. Außerdem können wir erkennen, dass das Mittelfeld näher an die Spitze herangerückt ist und es im Mittelfeld einen deutlichen Umschwung im Vergleich zum Vorjahr gegeben hat. Die Rundenzeiten sind nicht bedeutungslos, sie sind eine Goldmine, wenn man bereit ist, sich vorsichtig und sorgfältig vorzuarbeiten, bis sich langsam ein klares Bild ergibt...
 

 
 

 

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Login via Facebook

Community