Fragt man im Verwandtenkreis nach den Qualitäten der Mercedes-Benz Modelle aus den 70er und 80er Jahren, fallen fast schon einhellig die Worte Kilometerfresser, hält ewig und unzerstörbar. Nicht, dass diese Eigenschaften heute keinerlei Bedeutung mehr hätten, nur kennt inzwischen so gut wie jeder die Geschichten der Eine-Million-Kilometer-Taxen, die nur unter Zuhilfenahme der gängigen Verbrauchsmaterialen wie Diesel, Öl und Wasser auch heute noch ihre Aufgabe der Personenbeförderung auf diversen Kontinenten dieser Erde wahrnehmen.
Was lange währt, wird endlich gut?
Eric Bernstein aus Hannover fand schon immer Gefallen an Autos aus den Siebziger Jahren. Drei Modelle des Opel Kadett C gingen schon durch die Hände des gelernten Flugtriebwerk-Mechanikers. Während Augen und Hände immer voll im Thema Opel drinsteckten, spielte sich vor Erics drittem, imaginären Auge ein anderes Bild ab.
Irgendwann würde er wieder ein dünnes, hartes Lenkrad in den Händen halten, diesmal würde es aber kein Blitz sein, der im Kühlergrill funkelt. Vielmehr würde er die Strasse vor sich durch den Stern auf der Haube fixieren. Einige von Erics Schrauberkollegen schworen dem Mercedes-Benz Fieber zwischenzeitlich schon wieder ab, da fügten sich seine persönlichen Puzzleteile zu einem grossen OKAY zusammen.
Nun war es an der Zeit, auf die Suche zu gehen. Quasi vor der Haustür wurde Eric fündig. Ein Strich-Achter, Baujahr ´71, sollte es werden. Das Geschäft war schon so gut wie perfekt, da sagte der Verkäufer aus dem nahen Wunstorf gerade mal eine Stunde vor der Übergabe ab. Doch als Autoliebhaber ist man Rückschläge gewohnt, so schaltete man im Hause Bernstein wieder alle Antennen auf Empfang.
Zu früh gefreut
Im September 2006 war es endlich soweit. Ein /8, Modell 200 D, aus Stade weckte Erics Interesse. Der schlechte Allgemeinzustand war anfangs gar nicht in seiner vollen Härte ersichtlich, der Wagen war gerade mit einer frischen TÜV-Plakette beschenkt worden und hatte auch schon ein H-Gutachten. Dann konnte ja nichts mehr schiefgehen. Oder etwa doch?
Es konnte. Und es kam so schief wie es nur ging. Im darauffolgenden Winter machte sich Eric ans Werk um ein paar Roststellen an seinem Ex-Taxi zu beseitigen. Je tiefer er den Kopf in die verschiedenen Ecken seines Mercedes steckte, desto unheilvoller war das Grauen was ihn erwartete: Hinter dem Scheibenwaschbehälter fehlte ein Stück Blech von 5 x 50 Zentimetern Grösse. Es war durch die Ansammlungen von Dreck und Laub in all den Jahren einfach weggegammelt.
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Das gleiche Bild bot sich neben den Stossdämpferaufnahmen. Ebenso waren die Schweller vorne und hinten und beiden vorderen Bodenwannen gammelig. Von denen war, genau wie von den beiden Endspitzen mitsamt Endblech nur noch Gebrösel übrig. Jetzt war Eric wirklich zum Gruseln zumute. Wie hatte der Vorbesitzer so einen Wagen überhaupt durch den TÜV... - egal, bloss nicht darüber nachdenken. Nach ungefähr einem Jahr intimer Nähe zu Ersatzblechen und Schweissgerät galt es, neuen Lack auf den restaurierten Body aufzutragen.
Erstaunlicherweise fing sich Eric bei so gut wie jedem Lackierer, bei dem er vorsprach, einen Korb ein. Allen war die Substanz zu heikel. Lackprofi Rainer Nolte aus Misburg riet zu extremen Massnahmen: Nee, Eric, lass uns die Karosserie mal komplett entlacken. Dann sehen wir ob noch irgendwo Überraschungen warten! Gesagt, getan. Da sich die Vorahnung (Gott sei dank) nicht bewahrheitete, konnte das Blech endlich in original Mercedes Anthrazitgrau gespritzt werden.
Bei der Komplettierung gab es lediglich einen Satz neuer Dichtungen. Die Qualität der damals verbauten Innenausstattung kann man am besten damit verdeutlichen dass es noch immer die originale ist! Die Räder tauschte Eric gegen schicke Rial-Alus und ein paar Fahrwerksmodifikationen lassen den Strichachter nun etwas tiefer über den Asphalt schweben.
Ich wollt, ich hätt ein paar Pferdchen mehr..
Nun ist die Geschichte hier aber noch nicht zu Ende. Wer glaubt, dass Eric froh war, alles über die Bühne gebracht zu haben und nie wieder einen Schraubenschlüssel in die Hand nehmen würde, der irrt. Natürlich war er froh, dem Umbau abgeschlossen zu haben. Frei und individuell interpretiert nach Sepp Herberger lautete das Motto jedoch nach dem Umbau ist vor dem Umbau.
Und da sich Eric nie so richtig mit dem nussigen Klang des Selbstzünders anfreunden mochte, baute er 2008 seinen Diesel mit Lenkradschaltung auf einen Benzinantrieb mit Lenkradautomatik um. 2717 ccm Hubraum aus sechs Zylindern sind genug für 185 PS Leistung und mit Leichtigkeit durchdrehende Räder an der Antriebsachse.
Erics /8 ist nur eines von vielen interessanten Fahrzeugen der Hannoveraner Mercedes-Community. Die motivierte Truppe aus der niedersächsichen Landeshauptstadt hält noch das eine oder andere Schätzchen für uns parat. Wir bleiben am Ball und präsentieren Ihnen auch in Zukunft das eine oder andere Juwel aus Hannover.
Text & Fotos: Igor Vucinic
Mercedes-Fans Facts
1971 Mercedes-Benz W114 /8
Antrieb: Typ M110, Kennzeichnung 110.981, Reihensechszylinder, 2717 ccm Hubraum, zwei obenliegende Nockenwellen mit Duplex Rollenketten-Antrieb, Aluminium Querstrom-Zylinderkopf, Bohrung x Hub = 86 x 78,8mm, Verdichtung 9:1, Bosch D-Jetronic Einspritzung, Leistung = 136 kW (185 PS) bei 6000 U/min; Automatikgetriebe, umgebaut auf Lenkradschaltung
Räder & Reifen: vorne Rial-Felgen in 8x16 Zoll, 225/40 R16 Toyo-Bereifung,; hinten Rial-Felgen in 9x16 mit 225/50 R16 Yokohama
Fahrwerk: Einzelradaufhängung vorne, Starrachse hinten, modifiziert
Sonstiges: Restauration unter Verwendung von Originalblechen, Farbe: Anthrazitgrau (Farbnummer MB 173)
2 Kommentare
*TheCruiser*
24. November 2009 12:33 (vor über 15 Jahren)
JPS
19. August 2009 14:37 (vor über 15 Jahren)
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